Der Weg zurück zur Körperlichkeit: Erdnüsse selber knacken.
Die heutigen Zeilen schreibe ich in meinem neuen Zuhause in Bayern. Ich sitze am Esstisch vor meinem Laptop. Aus der offenen Küche höre ich Gemüseschneide-Geräusche und das Öffnen und Schließen von Schubladen. Meine neue Mitbewohnerin und Freundin bereitet das Mittagessen für uns vor. Auf dem Sofa im Wohnzimmerbereich sitzen mein Freund und die Tochter meiner Freundin und essen Erdnüsse aus einem Schälchen. Ich höre das leise Knacken und Knistern während sie andächtig die Erdnussschalen aufbrechen. Beide scheinen konzentriert, friedlich, entspannt. Ich beobachte, wie die Kleine die ein oder andere Erdnuss rüber reicht, die sie nicht geöffnet bekommt. Wortlos nimmt mein Freund sie, knackt sie für sie und gibt sie ihr zurück.
Warum beschreibe ich diese Szenerie? Nun, zum Einen, weil sie mich gerade glücklich und friedlich macht. Und zum anderen, weil sie spontan zur Einleitung meines heutigen Themas wird: Wenn die Trennung zwischen Kopf und Körper aufgehoben wird und beides wieder mehr miteinander kombiniert wird, dann können wir einen gewissen ursprünglichen Frieden wiederfinden, der durch die Virtualisierung und Verkopfung über die ich letzte Woche geschrieben habe nicht mehr zugänglich ist. Und was hat das nun mit Erdnüssen zu tun?
Nun, so viel, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Netflix-Serie schaue und dabei ohne den Blick abzuwenden wie automatisiert in die Tüte mit den bereits gepulten, gesalzenen und gerösteten Erdnüssen greife, bis sie leer ist, oder ob ich mir eine Handvoll Original-Nüsse in mein Lieblingsschälchen abfülle und diese für die nächsten Minuten meine volle Aufmerksamkeit bekommen, weil ich meine Augen, meine Hände und auch ein gewisses Geschick dafür benötige, um meine Nüsse zu knacken. Die Tatsache, dass ich sie erst knacken muss, hält mich außerdem davon ab, sie unkontrolliert in mich hineinzustopfen. Die Tatsache, dass ich sie vielleicht mit einem Kind zusammen knacke bringt dem Kind außerdem ganz automatisch bei, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren. Es gibt ihm ein Gefühl von Selbstständigkeit, die Nüsse selbst zu knacken. Die Szene, die ich oben beschrieb wirkte nach wortlosem Einklang. Die kleinen Gesten zeugten von den schönen Werten des Teilens und des Helfens.
Ich beschrieb in einem meiner letzten Texte, wie wir körperliche Bewegung heutzutage aus unserem Alltag ausklammern und in extra-Zeiten packen. Was noch dazu kommt, ist, dass viele Menschen sich angewöhnt haben, ihren Körper sogar während des Sports von sich abzuspalten und quasi ein automatisches Programm mit ihm abzuspulen. Damit dem Kopf in der Zwischenzeit nicht langweilig wird, lenkt man ihn mit anderen Reizen ab. Die klassischen Beispiele dafür sind die Fitnessstudio-Besucher/innen, die auf ihrem Spinning Rad sitzen und gleichzeitig Fernsehen schauen oder auch die Jogger/innen, die mit Kopfhörern im Ohr durch den Wald joggen. Der Körper wird beschäftigt, während der Kopf mit etwas anderem beschäftigt wird. Das ist ein Stück weit absurd und vollkommen entgegen der Natur des Menschen. Geplant war für uns Menschen ursprünglich, dass wir unsere Kopfarbeit mit der Körperarbeit kombinieren. Unsere Kopf-Intelligenz bringt uns nichts, wenn unser Körper seine Vorhaben nicht ausführen würde und unsere Körperintelligenz bringt uns nichts, wenn unser Kopf ihm nicht sagen würde, was und in welcher Reihenfolge er es tun soll.
Die ursprünglichen Aufgaben des Menschen benötigten meist beides, wenn man an Jagen, Kräutersammeln, Bogen schießen, Angeln, ein einzelnes Werkzeug von Anfang bis Ende herstellen etc. denkt. Für diese Aufgaben braucht es Konzentration, Fokus, Geschick, Mitdenken, zum Teil eine schnelle Reaktionszeit usw. Alles Eigenschaften, die sowohl Kopfarbeit, als auch Körperaktion erfordern. Mit ACDC auf den Kopfhörern lässt es sich sicherlich schwerlich ein Tier erlegen und während man ein heißes Eisen schmiedet Desparate Housewives zu netflixen könnte eventuell den ein oder anderen Finger kosten. Fühlst du worauf ich mit diesen Beispielen hinaus möchte?
Ein Aspekt von Bodylove ist das Zurück in den Körper. Das Rückverbinden mit dem Körper. Das Erleben von Körperlichkeit auf einer neuen Ebene, die eigentlich eine sehr alte und ursprüngliche Ebene ist. Sich auf eine Sache konzentrieren. Fokus und Konzentration. Wenn wir uns fragen, warum es den Kindern der heutigen Zeit so schwerfällt, sich zu konzentrieren und bei einer Sache zu bleiben, dann finden wir eine mögliche Antwort in unserem eigenen Verhalten der Entkopplung des Körpers vom Kopf. Die Kinder sind unsere Spiegel…
Der neue Weg: Den Kopf benutzen, um den Körper zu bewegen und dem Körper erlauben, den Kopf zu entlasten.
Verfasst am 11.05.2021