Herzohren
Deine Ohren, nimm sie doch mal in Gedanken ab und fĂŒge sie zusammen. Welche Form entsteht?
Jepp genau, ein Herz đ Was trennt die HerzhĂ€lften voneinander? Was steht dem Herzen also im Wege?
Jepp, genau, der Kopf.
Der Kopf verhindert oft, dass wir mit dem Herzen hören. Der Kopf verhindert tatsĂ€chlich sogar oft, dass wir ĂŒberhaupt zuhören. Dass wir empfangen. Beobachte dich mal, wenn du jemandem zuhörst, wie schnell formen sich in deinem Kopf Worte, die du sofort dazu sagen möchtest? In Sekundenschnelle entsteht dein Senf und du musst dich zurĂŒckhalten, um den anderen ĂŒberhaupt aussprechen zu lassen. Oder aber du behĂ€ltst ihn fĂŒr dich, bist aber so sehr mit diesem deinem Senf beschĂ€ftigt, dass du den anderen nicht wirklich gehört hast.
Unsere Kinder und die Politiker spiegeln es uns am liebevollsten đ : Die Rede eines anderen zu unterbrechen ist Gang und GĂ€be. Senden, senden, senden, Hauptsache raus mit dem, was man zu sagen hat. Dazu kommt die Welt der Werbung und Angebote und die Welt der Social Media. Jeder will verkaufen, sich prĂ€sentieren, seine Meinung kundtun, gehört werden.
Nun stellen sich dazu zwei Fragen:
Warum hört eigentlich niemand zu?
Und
Warum möchte denn niemand zuhören?
Da rein, da raus. Du hast die Geste, die von einem Ohr zum anderen Ohr zeigt jetzt gerade sicher vor Augen. Wir werden ĂŒberflutet von Wort und Schrift und das Wenigste bleibt hĂ€ngen. Wo sollte der ganze Input auch hin, wir wĂ€ren ja vollkommen⊠wie sagt man das auf deutsch⊠dĂ©bordĂ©e??
Nun, es ist ein GrundbedĂŒrfnis des Menschen, sich auszudrĂŒcken und mit seinem Selbstausdruck gesehen und gehört zu werden. Dieses BedĂŒrfnis ist aktuell scheinbar so groĂ, dass ein Ungleichgewicht zwischen senden und empfangen entstanden ist. BegrĂŒndungen dafĂŒr gibt es viele und um den heutigen Text nicht ausufern zu lassen beschrĂ€nke ich mich auf eine: Die mĂ€nnlich geprĂ€gte Gesellschaft. Das Senden und das Setzen von Impulsen ist eine mĂ€nnliche QualitĂ€t. Empfangen, aufnehmen und gedeihen lassen ist eine weibliche QualitĂ€t. Dadurch das Frauen ĂŒber die letzten Jahre versucht haben, es den MĂ€nnern in Sachen Leistung, Zielstrebigkeit, sich durchsetzen und senden, gleichzutun, ist dieses Ungleichgewicht entstanden. Wenn Frauen versuchen, so zu sein wie MĂ€nner, sind ja irgendwie alle so wie MĂ€nner und der Ausgleich an weiblichen QualitĂ€ten fehltâŠ
Schön und wichtig und gesund wĂ€re es doch, wenn Frauen wie MĂ€nner die StĂ€rken in den vorherrschenden Eigenschaften des anderen sehen und sich darĂŒber im Klaren sind, dass es im Leben beides braucht.
Die StÀrken der Weiblichkeit liegen woanders als die der MÀnnlichkeit und das ist gut so. Allerdings wurden wir darauf geeicht, dass die StÀrken der Weiblichkeit keine StÀrken sind, sondern SchwÀchen.
Weich zu sein wird oft mit LabilitÀt gleichgesetzt.
Emotional zu sein wird oft mit Launigkeit abgetan und kann daher nicht ernst genommen werden.
Mit der Abwertung der Hingabe einer Frau sind wir auch recht fixâŠ
Und die FÀhigkeit, zu empfangen und zuzuhören wird zu PassivitÀt degradiert und soll scheinbar minderwertiger sein als zu senden und aktiv zu sein.
Die weiblichen Aspekte fĂŒhren nicht zu LeistungsfĂ€higkeit und EffektivitĂ€t und somit auch nicht zu Wohlstand und einem erstrebenswerten Leben. Das ist mehr oder minder der Konsens dessen, womit wir groĂ geworden sind und was in uns abgespeichert wurde.
Das schwarz/weiĂ malen von Weiblichkeit und MĂ€nnlichkeit in diesem Text dient ĂŒbrigens nur dem, gewisse ZustĂ€nde aufzuzeigen und bewusst zu machen. Es bedeutet weder, dass eine Frau nur weiblich ist und ein Mann nur mĂ€nnliche Aspekte in sich trĂ€gt noch das mĂ€nnliche Aspekte grundsĂ€tzlich schlecht und weibliche Aspekte grundsĂ€tzlich gut sind. Aber ich denke, das ist jedem Leser/jeder Leserin klar. Jeder trĂ€gt beide Seiten in sich und lebt sie unterschiedlich stark aus. Jeder Aspekt, egal ob mĂ€nnlich oder weiblich, kann auĂerdem sowohl als StĂ€rke eingesetzt werden, als auch missbrĂ€uchlich.
Und das Schöne: Wir können uns vom anderen Geschlecht bereichern lassen, indem wir die Aspekte, die er/sie auslebt beobachten und empfangen dĂŒrfen. Uns ein stĂŒckweit anstecken lassen. Das andere Geschlecht ist eine Bereicherung und ein Geschenk und keine Konkurrenz. Und so, wie wir uns zum Beispiel von der mĂ€nnlichen Zielstrebigkeit und Fokussiertheit etwas abschauen können, uns helfen lassen können, auf dem Boden zu bleiben, uns klar auszudrĂŒcken, so können wir als Frauen dabei helfen, etwas in den MĂ€nnern wie âfreizuschaltenâ, was die ganze Zeit in ihnen ist, aber von vielen nicht gelebt wird, weil andere mĂ€nnliche Aspekte ĂŒber die Jahre ĂŒberhandgenommen haben.
Wir können das Zuhören im Sinne von Empfangen in dieser Welt wieder âfreischaltenâ, indem wir selbst damit anfangen. Wer soll die QualitĂ€t des Empfangens und des Zuhörens wieder aufleben lassen, wenn nicht die Frauen? Die MĂ€nner warten ja nur darauf. Sie möchten uns zuhören und uns fĂŒhlen. Sie möchten auch der Welt zuhören, ebenso wie wir. Jemand muss anfangen... ein das Weiche in der MĂ€nnlichkeit wieder zu befreien, das geht am Besten, wenn wir Frauen, die wir sinnbildlich fĂŒr das Weiche, das FĂŒhlige auf dieser Welt stehen, den Anfang machen und wieder mehr von unserer weiblichen Seite zulassen.
Dadurch kann das Weibliche zurĂŒck in ihr Gleichgewicht kommen und das MĂ€nnliche gleich mit. Ein Mann, der seine weiche Seite nicht mehr verstecken muss, der kann auch seine harte Seite wieder auf eine gesunde Art und ohne Angst vor Verurteilung oder MissverstĂ€ndnis ausleben.
Es gibt Raum und VerstĂ€ndnis fĂŒr beides. Auf beiden Seiten.
Ich komme zum Anfang zurĂŒck. Wahres Zuhören, echtes wertungsfreies Aufnehmen geht nur ĂŒber den Aspekt des Empfangens und MitfĂŒhlens. Da der Kopf auf RationalitĂ€t und Analyse gepolt ist, steht er dem also eher im Wege. Um ein âda rein, da rausâ zu vermeiden, muss das Gesagte einen anderen Weg gehen und wenn du magst, dann mach die neue Geste dazu jetzt mit mir mit đ
Zeige mit deinem rechten Finger auf dein rechtes Ohr und stell dir vor, diese Worte, die du bis hierher gelesen hast, sind dort hineingekommen. Dann fĂŒhre die Hand weiter nach unten in deinen Körper, zu deinem Herzen. Dann auf der anderen Seite wieder hoch und ĂŒber dein linkes Ohr wieder nach auĂen. Prima đ
So haben deine Herzohren jetzt das aufgenommen, was dein Herz fĂŒhlen wollte und was dich bereichert. Du hast die Worte empfangen. Und es wird sich etwas daraus entwickeln. Du wirst aus diesen Impulsen vielleicht deine eigenen GefĂŒhle und Gedanken entwickeln. Und der Rest, der fĂŒr dich nicht verwertbar ist, geht ganz automatisch zum anderen Ohr wieder raus.
Wahres Empfangen birgt keine Gefahr, es bremst auch nicht aus und man kommt auch nicht zu kurz, wenn man mal mehr zuhört als selbst zu senden. Dieser Shift mĂŒsste in den Köpfen/Körpern mehr ankommen, um das Gleichgewicht zwischen Senden und Empfangen wieder herzustellen und die Herzohren zu schulen.
AbschlieĂend, die Antwort zu meiner oben aufgestellten Frage 1 könnte also sein: Es hört keiner zu, weil das Zuhören verlernt wurde.
Mit der Antwort zu Frage 2, die mit der Lebendigkeit unserer Worte zu tun hat, geht es im nÀchsten Artikel weiter.
Bis dahin wĂŒnsche ich euch eine schöne Zeit, in der ihr vielleicht ĂŒben mögt, Menschen, Tiere, Pflanzen oder die Sonne (!) bewusst zu empfangen.
Von Herz zu Herz einen lieben GruĂ â€